Lesung „Vor dem Fest“
Wie sich eigentlich ein Autor fühle, dessen Roman „Vor dem Fest“ bei vielen Abiturienten auf dem Schreibtisch liege? Diese Frage stellte der Schulleiter des Gymnasiums Rahlstedt, Florian Frankenfeld, dem Autor SašaStanišić im gefüllten Atrium am 1.10.2019, um dann an das Moderatoren-Team zu übergeben, dem mit Frederik, Dajan, Leyla, Tolga, Nilab und Fatima sowohl Schüler des Gymnasiums Oldenfelde als auch Schüler des Gymnasiums Rahlstedt angehörten und welches souverän durch die morgendliche Autorenlesung führte. Ein kurzer Dank galt zuvor außerdem noch den Lehrkräften Frau Muck, Frau Eckholt, Frau Buchholz und Frau Kirchbauer, die für die Organisation dieser Veranstaltung verantwortlich gewesen sind.
Als „Eisbrecher“ diente die Selbsteinschätzung Stanišić’, der sich in fünf Worten selbst beschreiben sollte: „Vater, Kind, Schriftsteller, aufgeregt, HSV“.
Ähnlich offen und einnehmend beschrieb der Autor zudem den Selbstversuch, das Hamburger Abitur mithilfe einer Scheinidentität abzulegen: Kurioserweise erreichte dieser „nur“ 13 Punkte, da er „einfach drauflos geschrieben habe“. Daher gab er den Schülern als Tipp mit auf den Weg, dass Struktur anscheinend für die Ablegung des Deutsch-Abiturs ein wichtiger Aspekt sei, der durchaus zwei Punkte wert sei.
Die Schülerinnen und Schüler erfuhren in dieser eineinhalbstündigen Veranstaltung weitere Details zum modernen Roman „Vor dem Fest“, der in seiner mosaikartigen Struktur durchaus Interpretationsspielraum lasse, geradezu Offenheit einfordere. Anschaulich wurden diese eher theoretischen Überlegungen durch zwei leidenschaftlich vorgetragene Leseimpulse vom Autor, welche zum einen die Welt der jugendlichen Protagonisten Lada, Suzi und Johann verdeutlichten und zum anderen der Welt der „Garage“ und ihrem angestammten Personal im Dorfroman ein Gesicht gaben.
Stanišić ordnete seinen Dorfroman in den „magischen Realismus“ ein, betonte die Vielfalt der Sprachstile und das Märchenhafte in seinem Roman, das teilweise „mystische“ Kraft habe. Zudem sei dieser auch eine Geschichte über das Fremde, welches sich in Form des Adidas-Mannes sowie der Fähe in den Romanzusammenhang einschleiche und das Dorf von außen in dieser einen Nacht beleuchte. Heimat sei etwas, was man gestalten müsse, auch indem man Geschichten erzähle.
Die Moderatoren befragten den Schriftsteller im Weiteren nach der kollektiven Erzählinstanz sowie der Art und Weise, wie der Autor es geschafft habe, dem Dorf ein Bewusstsein und eine Stimme zu geben. Nach Aussage des Autors gelinge dies durch das bildhafte Erzählen, die facettenreiche Milieuschilderung, die Kunstsprache, das breitflächige Erzählen sowie die verschiedenen Töne, die letztlich den „Sound“ ausmachten.
Warum Stanišić Bücher schreibe, beantwortete der Schriftsteller mit einem umfassenden Bekenntnis zur Literatur, die für ihn in seinem Leben immer wichtig gewesen sei. Letztlich sehe er aber auch heutzutage die Schwierigkeit, die Literatur als „kraftvoll“ zu erhalten.
Dass er immer weiter „Geschichten schreiben wolle“, zeigt der derzeitige Plan, mit dem eigenen Sohn ein Kinderbuch zu entwickeln.
Literatur zu entwerfen und Geschichten zu schreiben, sei aber auch ein kommunikativer Akt – deshalb suche er geradezu Gesprächsanlässe mit Lesern und mit Schülerinnen und Schülern. Diese ermutigte er auch an diesem Vormittag, sich offen und durchaus kontrovers mit Literatur und ihrer festgeschriebenen Bedeutung auseinanderzusetzen. Dabei sei auch die Suche nach dem Mehrwert oder der Botschaft nachrangig. Literatur solle sich auch in der Schule an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientieren.
Derartig motiviert und ermutigt, bedankten sich die Schülerinnen und Schüler bei dem Autor, der ihnen mit Eindringlichkeit und Offenheit das Schreiben und sein Werk nähergebracht hatte. Als Dank diente die im Roman oftmals genannte Puddingbrezel des Adidas-Mannes. „Wie fühlt sich eigentlich ein Autor?“ –gut.
Fotos: Anja Heiligtag
Text: Anke Buchholz/Antje Kirchbauer